Puccini – Messa di Gloria
und als Abschluss der Saison
Schubert Es-Dur

Puccini und Schubert
NEWSLETTER JUNI 2019
Liebe Freunde der Kirchenmusik!
Sehr geehrte Damen und Herren!

Schon neigt sich das Arbeitsjahr dem Ende entgegen. Doch auch in den verbleibenden frühsommerlichen Wochen stehen großartige Schätze auf dem Programm der Chorvereinigung St. Augustin in der Jesuitenkirche. Die hochromantische Messe in D-Dur von Dvorak (2.6.), die „Messa di Gloria“ von Puccini (20.6.); und als grandioser Abschluss des Kirchenmusikjahres folgt schließlich die Große Messe in Es-Dur von Franz Schubert. Damit verabschieden wir uns nach 39 gesungenen Gottesdiensten und 2 Abendkonzerten in der Saison 2018/19 in die wohlverdiente Sommerpause. Das erste Hochamt im Herbst 2019 mit der Chorvereinigung findet am 1. September mit der „Krönungsmesse“ von Mozart statt.

Dieses Arbeitsjahr war überschattet durch einen großen Umbau innerhalb des Gebäudes der Akademie der Wissenschaften, wo sich auch unser Probensaal befand. Im Sommer 2018 mussten wir ausziehen und auf die „Werktagskapelle“ als Probenraum ausweichen. Nun hoffen wir, dass die Baustelle im Sommer fertiggestellt wird, und wir in einen neuen, tollen Probensaal einziehen dürfen.

Abschließend möchte ich Ihnen für Ihre Treue danken und wünsche Ihnen, in der Hoffnung, Sie auch im Herbst wieder bei uns begrüßen zu dürfen, einen erholsamen Sommer!

Hartwig Frankl, Obmann


Sonntag, 2. Juni 2019, Antonín Dvořák (1841-1904), Messe in D-Dur op. 86
Die Messe D-Dur (Lužanská mše) op. 86 von Antonín Dvořák liegt in zwei verschiedenen Versionen vor: für Soli und Chor mit Orgelbegleitung (B 153) und mit Orchesterbegleitung (B 175).
Antonín Dvořák wurde von dem Architekten und Mäzen Josef Hlávka anlässlich der Einweihung von dessen neugebauter Schlosskapelle auf Schloss Lužany beauftragt, eine Messe zu komponieren, die in dieser Kapelle aufführbar war, was bedeutete, dass Dvořák auf eine Orchester-Besetzung oder größeren Chor – zunächst – verzichten musste. Dvořák komponierte das Werk zwischen dem 23. März und dem 17. Juni 1887. Am Tag der Fertigstellung schrieb der Komponist an seinen Auftraggeber:
„Sehr geehrter Herr Rat und lieber Freund! Ich habe die Ehre, Ihnen mitzuteilen, dass ich die Arbeit (die Messe D-Dur) glücklich beendet habe und dass ich große Freude daran habe. Ich denke, es ist ein Werk, das seinen Zweck erfüllen wird. Es könnte heißen: Glaube, Hoffnung und Liebe zu Gott dem Allmächtigen und Dank für die große Gabe, die mir gestattete, dieses Werk zum Preis des Allerhöchsten und zur Ehre unserer Kunst glücklich zu beenden. Wundern Sie sich nicht, dass ich so gläubig bin – aber ein Künstler, der es nicht ist, bringt nichts solches zustande. Haben wir denn nicht Beispiele an Beethoven, Bach, Raffael und vielen anderen? Schließlich danke ich auch Ihnen, dass Sie mir die Anregung gaben, ein Werk in dieser Form zu schreiben, denn sonst hätte ich kaum je daran gedacht; bisher schrieb ich Werke dieser Art nur in großem Ausmaße und mit großen Mitteln. Diesmal aber schrieb ich nur mit bescheidenen Hilfsmitteln, und doch wage ich zu behaupten, dass mir die Arbeit gelungen ist.“
Die Uraufführung fand am 11. September 1887 unter der Leitung des Komponisten in der Schlosskapelle statt. Die Frau des Auftraggebers und Dvořáks Gattin sangen die weiblichen Solopartien.
Die erste öffentliche Aufführung fand am 15. April 1888 im Stadttheater von Pilsen statt. Die Instrumentalstimmen wurden in dieser Aufführung von zwei Harmoniums, Cello und zwei Kontrabässen übernommen. Diese Instrumentierung, von der nicht bekannt ist, ob sie von Dvořák selbst stammte, ist nicht erhalten.
1892 erschien die Messe beim Londoner Verlag Novello & Co. als op. 86 im Druck, nachdem der Komponist eine Orchesterbearbeitung erstellt hatte. Diese Orchesterfassung wurde am 11. März 1893 im Londoner Crystal Palace unter der Leitung von August Manns uraufgeführt.
Bei der Instrumentierung behielt Dvořák die Grundstruktur des Werkes weitgehend bei. Durch die Verwendung des Orchesters konnte der Komponist auch eine verfeinerte Dynamik anstreben, wodurch sich an einzelnen Stellen auch Auswirkungen auf die Stimmführung des Chores ergaben.
Dem Beginn des Kyrie stellte er eine kurze, zweitaktige Einleitung des Orchesters voran. Das Kyrie wirkt vor allem durch seine ausgefeilte und kontrastreiche Dynamik. Abweichend vom liturgischen Gebrauch beendet Dvořák den Satz mit einem erneuten „Christe eleison“. – Das Gloria beginnt in freudigem punktierten Rhythmus, der im Mittelteil mit einem besinnlicheren Abschnitt kontrastiert wird, ab der Erwähnung der Sünden der Welt von wachsender Unruhe geprägt ist und zum Schluss noch einmal feierlich die Herrlichkeit Gottes preist. – Das Credo, der längste Satz der Messe, ist in mehrere Abschnitte untergliedert. Weite Abschnitte sind streng responsorisch gehalten: der Text wird abschnittsweise zunächst vom Alt, später vom Tenor bzw. den jeweiligen Solisten mezza voce vorgetragen und dann jeweils vom Chor tutti im Forte wiederholt. Der Abschnitt, der den Glauben an den einen Gott bekennt, durchläuft harmonisch einmal den kompletten Quintenzirkel, Sinnbild für die Vollkommenheit Gottes. Das Leiden Jesu Christi wird in verminderten Septakkorden expressiv zum Ausdruck gebracht. Der Satz schließt mit einem feierlichen, imposanten „Amen“. – Sanctus und Benedictus sind durch das in identischer Weise vertonte „Hosanna in excelsis“ thematisch miteinander verknüpft. – Das Agnus Dei setzt mit einem kunstvollen Fugato der Solisten ein. Als einziger Satz der Messe endet es nicht in feierlichem Fortissimo, sondern mit der inständig im dreifachen Piano gehauchten Bitte um Frieden.
Die Aufführungsdauer beträgt ca. 40 Minuten. Aufgeführt wird die Orchesterfassung.
Die Solisten sind: Cornelia Horak, Annely Peebo, Gernot Heinrich und Yasushi Hirano.
Zum Offertorium hören Sie die Kirchensonate in F-Dur, KV 244 von Mozart.
Diese Kirchensonate aus dem April des Jahres 1776 ist die erste von jenen fünf Kirchensonaten, in denen Mozart die Orgel konzertierend eingesetzt hat. Für Organisten ist interessant, dass Mozart das Orgelsolo ausdrücklich mit der „Copula allein“ gespielt wissen wollte, einem nicht lauten und flötenartig klingenden Register. Diese Registrierungsangabe ist vielsagend für die Intonation von Mozarts Orgel, die Akustik im Salzburger Dom sowie für die Balance und Dynamik in der damaligen Aufführungspraxis.

Aus „Mozart sakral“, 2006


Pfingstsonntag, 9. Juni 2019: Joseph Haydn (1732-1809) – Nikolaimesse Hob. XXII:6
Mit den beiden letzten Missae breves, der „Missa Sancti Nicolai“ und der „Missa Sancti Joannis de Deo“, hat Haydn auch in dieser Gattung Meisterwerke geschaffen, die bereits zu seinen Lebzeiten zu den beliebtesten zählten – das zeigen ihre zahlreichen Abschriften.
Das Wirken von Joseph Haydn (1732-1809) fiel in eine Zeit, die der Kirchenmusik nicht günstig gestimmt war. Die Aufklärung kultivierte einen Affront gegen alles Zeremonielle. Und da die Kirchenmusik im katholischen Österreich eng an die Mess-Zeremonien geknüpft war, kam sie mit auf den Index.
Gleichwohl sind von Haydn insgesamt zwölf Messen überliefert, davon sind die sechs großen späten Messen Auftragswerke für die Feier des Namenstags der Fürstin Esterházy. Zu den sechs früheren und kleineren Messen gehört die Missa Sancti Nicolai, komponiert vom 40-jährigen Kapellmeister Haydn 1772 zum Namenstag seines Fürsten Nicolaus I. Joseph von Esterházy (1714-1790), dem Nikolaustag. Zur persönlichen Huldigung der Machthaber war eine Messvertonung also durchaus erwünscht.
Der Nikolaustag verwehrte allerdings den bei einem Fürsten sonst fälligen Einsatz von Pauken und Trompeten, denn er liegt in der Adventszeit als Bußzeit, wo die Trompetteria tabu ist. So nahm Haydn zum schlichten »Kirchentrio« mit Violinen und Bass nur Oboen und Hörner dazu, um etwas mehr »Sound« zu erreichen. Die Musik zeigt im Gesamttonfall jedoch kaum Spuren von Buße. Überwiegend wird in ungetrübtem G-Dur musiziert, und schon im anfänglichen Kyrie, das man ja als Bußruf deuten könnte, herrscht schönste Terzenseligkeit vor.
Fachleute rücken das Werk deswegen in die Nähe der für die Weihnachtszeit typischen Pastoralmessen. Vielleicht sollte es aber einfach ein gefälliger Ohrenschmaus für den Fürsten an seinem Namenstag werden. Heutigem Empfinden nach würde man das eher als froh gestimmte Sommermusik taxieren.
Bei aller Haydn’schen Heiterkeit gibt es doch bemerkenswerte inhaltliche Akzente. Zu Beginn des Gloria etwa kontrastiert Haydn dem in die Höhe aufschwingenden »Gloria in excelsis Deo« dermaßen eindrücklich das »et in terra pax hominibus«, dass jedem Hörer, auch dem Fürsten, die Niedrigkeit des Menschen gegenüber Gottes Majestät plastisch zu Ohren kommt. Geradezu schüchtern folgt das »wir loben dich, wir benedeien dich, wir beten dich an«, ein Musterbeispiel für aufklärerische Frömmigkeit. Die schuldhafte Verstrickung im »peccata mundi« macht Haydn klanglich groß, um demütig im Piano die Bitte um Erhörung anzuschließen.
Im Credo handhabt Haydn zunächst virtuos die Technik der Verkürzung. Jeder der vier Stimmen weist er eine andere Textzeile zu, sodass in wenigen Takten das halbe Credo absolviert ist. Bei »qui propter nos homines« aber singen plötzlich alle dasselbe, und alle können hören: Es geht vor allem um uns Menschen, um unser Heil.
Der Tradition folgend singen ab »et incarnatus est« die Vokalsolisten im Adagio als polarem Moll-Mittelsatz. Auch hier sticht immer wieder ein markant eingestreutes »pro nobis« / »für uns« hervor. Ab »et resurrexit« dominiert die Auferstehungs-Figur der Violinen, die hier wie oft unisono spielen. Das dient der Plastizität der Musik, ist aber für jedes Orchester eine heikle Sache.
Im Agnus Dei am Schluss erzeugt die Polarität von g-Moll und G-Dur die sonst vermisste Tiefenspannung. Man meint, Pergolesis berühmtes »Stabat mater« durchzuhören. Die G-Dur-Bitte um Frieden ist musikalisch identisch mit dem Kyrie-Beginn. Haydn hat das im Manuskript gar nicht mehr ausnotiert. Die potenzielle Zeitnot des Komponisten hat so zu einem stimmigen Werkschluss geführt. Die schönen Terzen sind ein Vorgeschmack des durch Christus gewährten Friedens.

Konrad Klek/ Evangelisches Sonntagsblatt für Bayern

Als Solisten wirken mit: Monika Riedler, Monika Schwabegger, Stephen Chaundy, Michael Mrosek
Zum Offertorium singt der Chor die Motette „Ehre und Preis sei Gott dem Herren“.


Donnerstag, 20. Juni 2019: Giacomo Puccini (1858-1924) „Messa di Gloria“
Giacomo Puccini war, wie seine Vorfahren, Kirchenmusiker in San Lucca, einer verschlafenen Provinzstadt in der Toscana. Als 20-jähriger erhielt er den Auftrag, für den alljährlichen Gottesdienst zu Ehren des Schutzpatrons der Stadt, eine Motette und ein Gloria zu komponieren. Der öffentliche Erfolg des Werkes ermunterte ihn, die Komposition zwei Jahre später, vor Abschluss des Studiums, zu einer vollständigen Messe in As-Dur umzuarbeiten. Die Motette wurde zum Kyrie, das Gloria durch die Sätze Credo, Sanctus und Agnus ergänzt und am 12. Juli 1880 wurde die Messa a 4 voci con orchestra in Lucca uraufgeführt. Es ist sein umfangreichstes Werk außerhalb seiner Opern.
Die für großes Ensemble (mit 3 Posaunen und Tuba) orchestrierte Partitur scheint jahrzehntelang nicht mehr aufgeführt worden zu sein. 1883 verließ Puccini Lucca und studierte in Mailand, um Opernkomponist zu werden. Er verwendete zwei Sätze der Messa in späteren Opern: Das Kyrie erscheint als Orgelstück in „Edgar“ (komponiert 1892), das Agnus Dei als Madrigale im 2. Akt von „Manon Lescaut“ (1893). Nach 10 Jahre langer Erfolglosigkeit als Opernkomponist, bearbeitete er das Werk nochmals, legte es aber beiseite, als mit der Oper „Manon Lescaut“ der Welterfolg kam.
Dass die schlagkräftigen und dabei geschmeidigen Melodien des 20-jährigen Komponisten deutlich opernmäßigen Charakter tragen und den Einfluss Bellinis und Verdis verraten, ist kein Zufall. 1876 war der mittellose Puccini mehrmals zwischen Lucca und Pisa hin- und hergewandert, um einige Aufführungen von Verdis „Aida“ zu erleben. Sie wurden zum entscheidenden Anstoß, um sich in Mailand ganz auf die Oper zu konzentrieren.
Nach dem 2. Weltkrieg stieß der Puccini-Biograph Fra Dante Del Fiorentino, der Puccini noch persönlich kennengelernt hatte, auf das Werk. Zu einer ersten Wiederaufführung kam es am 12. Juli 1952 in Chicago. Der große Umfang des Gloria, der diesen Satz zum Kern der Messa werden ließ, führte zur nicht originalen Bezeichnung „Messa di Gloria“.
Als Solisten wirken mit: Leonardo Navarro (Tenor) und Klemens Sander (Bass).
Zum Offertorium singt der Chor die Motette „Ave verum“ von Mozart.
Ave verum sind die Anfangsworte eines spätmittelalterlichen Reimgebets in lateinischer Sprache. Es entstand wahrscheinlich im 13. Jahrhundert; der Verfasser ist unbekannt. Der Text hat seinen Sitz im Leben in der Eucharistieverehrung. Die Gläubigen grüßen den wahren Leib des Erlösers in der Brotgestalt des Sakraments und verehren das Erlösungsleiden Christi. Das Gebet mündet in die Bitte um den Empfang der Kommunion in der Todesstunde als Vorgeschmack des Himmels.
Ave verum corpus, natum de Maria virgine, vere passum immolatum in cruce pro homine, cuius latus perforatum unda fluxit et sanguine: Esto nobis praegustatum in mortis examine.
Sei gegrüßt, wahrer Leib, geboren von Maria, der Jungfrau, der wahrhaft litt und geopfert wurde am Kreuz für den Menschen; dessen durchbohrte Seite von Wasser floss und Blut: Sei uns Vorgeschmack in der Prüfung des Todes!
Die heute bekannteste und am häufigsten aufgeführte Vertonung ist die von Wolfgang Amadeus Mozart. Seine Fassung gab der alten Sequenz weite Verbreitung auch außerhalb kirchlicher Anlässe. Der Text betrachtet entsprechend der christlichen Glaubenslehre die leibliche Gegenwart des Heilands in der Eucharistie. Die letzten Zeilen verweisen auf das Vorbild des sterbenden Erlösers für seine gläubigen Nachfolger. Das wissen zwar nur noch wenige; trotzdem wählen Hinterbliebene als musikalische Begleitung für Trauerfeiern oft diese besinnliche, spannende und zuletzt tröstliche Musik Mozarts.
Mozart komponierte die 46 Takte für Chor, Streicher und Orgel (KV 618) knapp ein halbes Jahr vor seinem Tod, während er zugleich an der Zauberflöte und dem Requiem arbeitete. Das Autograph ist auf den 17. Juni 1791 datiert. Die Komposition war für das Fronleichnamsfest in Baden bei Wien, wo Mozarts Frau Constanze sich im neunten Ehejahr auf ihre sechste Niederkunft vorbereitete, bestimmt. Sie wohnte bei Anton Stoll, dem Chorleiter des Badener Kirchenchors, der die Motette dafür als Geschenk annahm.
Hector Berlioz nannte das Werk als Vorbild für richtige Verwendung der menschlichen Stimme: „Zu einem Andante [für Chorstimmen] in gehaltenen und sanften Tönen wird [der Tonsetzer] nur die Töne der Mittellage verwenden, da diese allein die geeignete Klangfarbe haben, mit Ruhe und Reinheit angegeben und ohne die geringste Anstrengung pianissimo ausgehalten zu werden. So hat es auch Mozart in seinem himmlischen Gebet ‚Ave verum corpus‘ getan.“

Sonntag, 23. Juni: Franz Schubert (1797-1828), Messe in Es-Dur, D 950
Immerhin ist es Franz Schubert, anders als zum Beispiel Wolfgang Amadeus Mozart, vergönnt gewesen, sein letztes großes oratorisches Werk zu Ende zu komponieren – und zu was für einem Ende! Ein langsames und herzzerreißendes Kreuzmotiv als Fugatothema wird gekoppelt an einen charakteristischen Kontrapunkt aus einer aufsteigenden Quart und einem aufsteigenden Tritonus, dem „Teufel in der Musik“. Dieses musikalische Material ermöglicht und erzwingt kühnste harmonische Wendungen und Klänge, die in ihrer Modernität bis weit in das 20. Jahrhundert hinein ragen. Spätestens mit diesem Agnus Dei erreicht Schubert den ein Jahr vor ihm verstorbenen Beethoven.
Kommt das Kanonthema des Agnus nicht bekannt vor? Es ist bekannt, denn Schubert verwendet es in dem Lied „Der Doppelgänger“ als ostinates Motiv der Klavierbegleitung. „Der Doppelgänger“ erscheint posthum in der Zusammenstellung „Schwanengesang“, in dem Schuberts letzte Lieder aus Marketinggründen zusammengefasst unter einem Titel veröffentlicht werden, obwohl er kein eigentlicher Zyklus von Liedern ist, die einen inneren Zusammenhang haben.
Wie hilft uns die aufgezeigte Verbindung der beiden Werke aus den letzten Lebenswochen Schuberts weiter, um quasi hinter die Kulissen des Komponisten schauen zu können? Franz Schubert war zwar erst dreißig Jahre alt, aber schon seit Jahren schwer krank. Äußerlich einsam war er wohl nicht, aber sein Leben durchzieht unerfüllte Liebe (um die es viele Spekulationen gibt) und auch eine Todessehnsucht, die in seinen Liedern immer wieder besungen wird. Auch „Der Doppelgänger“ handelt von diesen beiden biografischen Leitmotiven. Der Text des „Agnus Dei“ handelt seinerseits davon, dass ein Mensch leidet, sich hingibt als „Lamm Gottes“. Das Leiden und seine Ursache, also die Art des Leidens, wird durch das Kreuzmotiv bildlich gemacht: Christus stirbt am Kreuz: verkannt, verlacht, verlassen. So fühlt sich auch der Doppelgänger, und vielleicht hat sich Franz Schubert hiermit identifiziert – und sehr bald danach stirbt auch er, tragischerweise als seine Musik den Durchbruch erlebt.
Die Es-Dur Messe wird ein Jahr nach dem Tod des Komponisten unter Leitung seines Bruders mit großem Erfolg uraufgeführt. Dennoch dauert es noch geraume Zeit, bevor Robert Schumann das Manuskript der Messe bei Schuberts Bruder wiederentdeckt und eine Veröffentlichung dringend empfiehlt.
Es handelt sich um Schuberts 6. lateinische Messe. Vom Genre her zeitlich am nächsten steht ihr die 1826 entstandene populäre „Deutsche Messe“. Zwar ist diese musikalisch um Lichtjahre von der Es-Dur Messe entfernt, aber auffällig ist, dass sie dieselbe Bläserbesetzung verwendet. In beiden Fällen verzichtet Schubert auf die Flöten und damit auf weiche hohe Töne im Bläsersatz. Das ist von Bedeutung, denn weite Teile der Es-Dur Messe werden ohne Streicher nur von den Bläsern begleitet, wenn nicht der Chor gar a cappella singt.
Viel ist geschrieben und spekuliert worden über die Änderungen und Auslassungen am liturgischen Messetext, die Schubert in der Es-Dur-Messe vornimmt. Im Credo lässt er unter anderem den Glaubenssatz „Credo in unam sanctam catholicam ecclesiam“ (Ich glaube an die eine heilige katholische Kirche) weg und wiederholt dafür „et incarnatus est“ sowie „crucifixus“. Die Auslassung findet sich schon in der 5. Messe in As-Dur, so dass von einem Versehen, wie manche spekulieren, keine Rede sein kann. Hier zeigt Schubert meines Erachtens sehr deutlich, an was er nicht glauben kann und was ihm wichtig ist.
Die formale Anlage der Messe in Es wiederum ist sehr nah an der, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet hat bei den großen Messvertonungen. Insbesondere komponiert Schubert – wie die meisten Tonsetzer vor und nach ihm – sowohl im Gloria als auch im Credo jeweils eine große Schlussfuge. Wenn ich zu Beginn auf die Fugenstruktur im Agnus eingegangen bin, so ist diese doch „nur“ die Quintessenz aus den beiden vorhergehenden gigantischen Fugen, die in ihrer formalen Klarheit und harmonischen Kühnheit alles von Schubert vorher komponierte weit hinter sich lassen. Schubert nimmt zum Ende seines Lebens Unterricht in Kontrapunkt bei Simon Sechter, der später auch Bruckner unterrichten sollte. Die hier von Schubert präsentierten Ergebnisse der Studien sind umwerfend und grandios. Nicht zuletzt nähert er sich dem größten Kontrapunktiker des deutschen Sprachraumes an. Und gibt – wie dieser – ein sehr persönliches Glaubensbekenntnis ab. Christoph Schmidtpeter
Als Solisten wirken mit: Monika Riedler (Sopran), Annely Peebo (Alt), Daniel Johannsen (Tenor I), N.N. (Tenor II) und Yasushi Hirano (Bass).
Zum Offertorium präsentieren wir Schuberts späte Motette für Chor und Tenorsolo „Intende voci“ D963. Schubert schrieb das Stück im Oktober 1828 als „Aria con Coro“ zusammen mit einem „Tantum ergo“. Vermutlich handelt es sich um eine der letzten Kompositionen des Meisters, wenn nicht gar um die letzte. Der äußere Anlass ist auch hier unbekannt, stehen Umfang und Besetzungsaufwand doch im seltsamen Missverhältnis zur liturgischen Ortung des Textes, der zur Messe des Freitags nach dem 3. Fastensonntag gehörte, also einem gewöhnlichen Werktag in einer Zeit des Kirchenjahres, da Instrumentalmusik aus der Liturgie verbannt war. Das großartige, festfreudige Stück lässt den Meister der Es-Dur-Messe erkennen. Nach einem Orchestervorspiel, in welchem die 0boe die führende Rolle spielt, setzt der Solotenor in ariosem Überschwang ein, mit dem später einfallenden Chor ständig dialogisierend. Das Ganze trägt mehr festlichen als dem Text entsprechenden flehenden Charakter. Das mit 10 Minuten Dauer den liturgischen Rahmen eines Offertoriums sprengende, reife und künstlerisch bedeutende Werk ist sicherlich eine absolute Rarität und nur bei uns zu hören!

Schubert Es-DurSie können am Ende des Gottesdienstes eine Aufnahme der Messe (Konzertmitschnitt vom 1.6.2015) beim Kirchenausgang erwerben (€ 18.-). Das „Intende voci“ befindet sich auf der CD „Messe in G-Dur“.

Ankündigung:
Sonntag, 1. September 2019: W. A. Mozart – „Krönungsmesse