Mittwoch, 1. November 2023, Allerheiligen:
Franz SCHUBERT – Messe Nr. 2 in G-Dur (1815)
Franz Schubert, schon als Knabe eingebunden in das kirchenmusikalische Leben der Pfarre Lichtental in Wien, komponierte sein schöpferisches Leben lang Kirchenmusik, neben sechs lateinischen und einer deutschen Messe auch zahlreiche Werke für das Proprium. Im Alter von 18 Jahren schrieb er für Lichtental seine zweite Messe, etwa ein halbes Jahr nach der Erstaufführung der Messe in F-Dur.
Auch in dieser G-Dur-Messe vermochte Schubert auf bewundernswerte Weise die in der damaligen Kirchenmusikpraxis geforderte Einfachheit und Schlichtheit des musikalischen Satzes mit beseligender Musik zu verbinden. In der G-Dur-Messe verschmelzen der Wiener kirchenmusikalische Stil des frühen 19. Jahrhunderts mit dem traditionellen, von Palestrinas Kirchenmusikreform herrührenden, „Stile antico“, den der junge Komponist Schubert intuitiv erfasste. Begnadet erscheinen das „Benedictus“ und das „Agnus Dei“ mit der liedhaften und inbrünstigen Melodik bei gleichzeitig sakralmusikalischer Symbolik. Bei der Komposition dachte Schubert einst wohl, wie schon bei einigen anderen Kirchenmusikstücken zuvor, an die Sopranstimme von Therese Grob, seine Jugendliebe und die Solistin in der Lichtentaler Kirche.
Die Messe in G-Dur galt – bis zur Wiederauffindung der autographen Stimmen – als reine „Streicher-Messe“. Franz Schubert ließ auf jeder Seite der Partitur die obersten und untersten zwei Systeme leer. 1951 galten die autographen Stimmen zur G-Dur-Messe bereits verloren. Natürlich hatte man nach dem Zweiten Weltkrieg diese mehrfach gesucht, aber ohne Erfolg. Ein glücklicher Zufall ließ im Nachlass des 1960 verstorbenen Klosterneuburger Chorherrn Andreas Weißenbäck die verloren geglaubten Handschriften Franz Schuberts entdecken.
Am 2. März 1815 begann Franz Schubert mit der Komposition seiner zweiten Messe, die er nach sechstägiger Arbeit abschloss. Die ursprüngliche Besetzung war laut Titelblatt der Partitur „4 Voci, 2 Violini, Viola, Organa e Basso“. Kleine Änderungen hat er gleich in die Stimmen eingetragen, mit deren Abschrift er unmittelbar nach Abschluss der Partitur begann. Bei der Abschrift erweiterte Franz Schubert die Besetzung um zwei Trompeten und Pauken. Über die Erstaufführung gibt es keinerlei Belege, es liegt aber nahe, sie in der Pfarrkirche Lichtenthal zu vermuten. Es ist davon auszugehen, dass Schubert selbst an einer baldigen Aufführung der Messe interessiert war. Vielleicht weil das Werk aus der Sicht des Komponisten weiterer Änderungen bedurfte, überließ er die Stimmenreinschrift nicht einem Kopisten, sondern nahm diese selbst vor. Im Zuge dieser „Reinschrift“ erfolgte auch die Erweiterung um zwei Trompeten und Pauken, die in keinem Fall seinen Bruder Ferdinand als Urheber haben können. Für diese Stimmen verwendete Schubert ein Notenpapier, das bei ihm zwischen 1814 und 1816 anzutreffen ist. Bruder Ferdinand hat lediglich die Trompeten und Pauken nach den autographen Stimmen in die Partitur übertragen.
1847 entdeckte Ferdinand den geistigen Diebstahl der G-Dur-Messe durch Robert Führer, Kapellmeister an der Domkirche St. Veit zu Prag. Dieser hatte die Messe unter seinem Namen 1845 drucken lassen. Ferdinand überließ die Originalpartitur der Messe dem Musikalienverlag Diabelli.
Im Musikarchiv des Stiftes Klosterneuburg finden sich die Messen in C-Dur, B-Dur und G-Dur. Die Frage, wann und auf welchem Wege die Schubert-Handschriften nach Klosterneuburg kamen, bleibt unbeantwortet. Direkte Kontakte zum Stift Klosterneuburg wurden entweder nicht aufgezeichnet oder es gab sie nicht.
(Text: Bernhard Paul, Herausgeber, Auszug aus dem Vorwort der Partitur im Carus-Verlag 1994)
Solistin und Solisten: Elisabeth Wimmer, Alexander Kaimbacher, Klemens Sander
Dirigent: Tom Böttcher
Zum Offertorium singt der Chor das Graduale für Allerheiligen „Justorum animae“ von Antonio Salieri (1750 – 1825) aus 1800:
Justorum animae in manu Dei sunt, et non tanget illos tormentum mortis.
Visi sunt oculis insipientium mori, illi autem sunt in pace.
„Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.
In den Augen der Unwissenden sind sie gestorben. Sie aber sind im Frieden.“
(Text nach dem Buch der Weisheit 3,1/3; vgl. Brahms-Requiem, Teil III)
Tip: Eine Aufnahme dieses Werkes befindet sich auf unserer CD „Mozart & Salieri“.
Sonntag, 5. November 2023: W.A.MOZART – Missa brevis in D, KV 194 (1774)
Es ist kein verbreiteter Beiname geworden, aber im Kirchenmusiker-Jargon wurde die Missa brevis in D-Dur, KV 194, oft „Kontrapunktmesse“ genannt. Sie trumpft nicht mit kontrapunktischen Kunststücken auf, ist aber mit einem feinen, kontrapunktischen Gewebe fest durchzogen. Die damit verbundene durchsichtige Struktur entspricht – wie KV 192 – in besonderer Weise einem kleinen Kirchenraum, was es leicht macht, das Kompositionsdatum vom 8. August 1774 wieder mit den bei KV 192 beschriebenen Festlichkeiten zur Feier der 100. Wiederkehr der Kirchweihe von Maria Plain in Zusammenhang zu bringen. Dass Mozart so knapp hintereinander drei kirchenmusikalische Werke schrieb, muss ja einen besonderen äußeren Anlass gehabt haben.
Nicht nur wegen des kontrapunktischen Satzes hat diese Messe – im deutlichen Unterschied zur viel galanteren F-Dur-Messe, KV 192 – einen leicht retrospektiven Charakter. Die h-Moll-Sätze im „Et incarnatus est“ des Credo und im Agnus Dei hat Karl Pfannhauser mit „altbarockem Pathos“ charakterisiert. Das dichte Stimmengewebe zwischen den beiden Violinen und den beiden hohen Solostimmen kennt man aus deutlich älteren Messen und auch das strenge Gehabe von Sanctus und „Hosanna“ (mit jeweils fugierten Einsätzen) ist eine Tonsprache aus älterer Zeit. Fast möchte man an das Bibelwort „…was gut ist, behaltet“ denken, wenn man über Mozarts Beweggründe für diese Gestaltung seiner Missa brevis in D-Dur spekulieren möchte. So modern und neuerungsfreudig Mozart auch war, er hast nie den Boden der Tradition unter den Füßen verloren.
Text: „Mozart sakral“, Wien, 2006
Als Solist*en hören Sie: Eva Maria Schmid, Martina Steffl, Gernot Heinrich und Stefan Zenkl.
Sonntag, 12. November 2023:
Joseph HAYDN (1732-1809) – Missa St.i Bernardi von Offida, „Heiligmesse“ (1797)
Kenner der späten Haydn-Messen wissen, dass es zweifelhaft ist, welches der beiden im Jahre 1796 komponierten Werke, die „Heiligmesse“ und die „Nelsonmesse“, zuerst entstanden ist. Der Musikwissenschaftler C.M.Brand kommt in seinem Werk „Die Messen von Joseph Haydn (Würzburg 1941) zu der Auffassung, dass die Missa St.i Bernardi von Offida im Herbst 1796, als Haydn von Eisenstadt nach Wien zurückkehrte, begonnen und im nächsten Jahr beendet worden ist. Sie wurde wahrscheinlich in der Bergkirche zu Eisenstadt am 12. September 1797, dem Namenstag der Prinzessin Maria Josepha Esterházy, zum ersten Mal aufgeführt.
Bernhard von Offida (1604-1694) war ein Kapuziner-Mönch, dessen geistliches Leben und dessen Ergebenheit in Krankheit und Armut Papst Pius VI. veranlasste, ihn am 19. Mai 1795 heiligzusprechen. Der Namenstag des heiligen Bernhard fiel auf den 11. September (ein Samstag im Jahre 1797), und es wird allgemein angenommen, dass Haydn den Kapuzinermönch mit der am nächsten Tag stattgefundenen Aufführung der neuen Messe ehren wollte.
Die „Heiligmesse“ ist Haydns zweite Messe in B-Dur, und mit Ausnahme der „Nelsonmesse“ (d-Moll) stehen auch alle seine weiteren Messen in dieser Tonart. Der Komponist benutzte dieselbe Orchesterbesetzung wie in der ersten Fassung der Missa in tempore belli: Oboen, Klarinetten, Fagotte, Trompeten, Pauken, Streicher, Orgel. In späteren Aufführungen bei Esterházy‘schen Gottesdiensten in Eisenstadt traten wahrscheinlich Hörner zur Verstärkung der Trompeten in den Tuttiabschnitten hinzu und ebenso wie in der Missa in tempore belli, wurden zusätzliche Klarinettenstimmen eingefügt. Es ist sicher, dass diese zusätzlichen Klarinettenpartien entweder von Haydn selbst komponiert oder zumindest von ihm überwacht worden sind. Wie in der Missa in tempore belli kann also auch bei der „Heiligmesse“ zwischen zwei Fassungen gewählt werden: mit oder ohne verstärkende Hörner und mit oder ohne zusätzliche Klarinetten.
Die kritische Ausgabe stützt sich auf zwei authentische Quellen: das Autograph (Deutsche Staatsbibliothek Berlin) und das authentische Aufführungsmaterial aus den Esterházy-Archiven in Schloss Eisenstadt. Die Stimmen sind von Haydn selbst korrigiert. Haydn änderte bei Aufführungen oft seine erste, im Autograph festgehaltene Fassung.
In Österreich ist die Missa St.i Bernardi von Offida als „Heiligmesse“ bekannt, da Haydn dem Sanctus ein altes Kirchenlied zugrunde legte. Wie gewöhnlich verbarg Haydn das Lied mit dem Text „Heilig, heilig, heilig, heilig allzeit heilig“ in den mittleren Stimmen des Chores und des Orchesters; ohne Zweifel haben aber die zeitgenössischen Musiker die Choralmelodie sofort erkannt.
Die „Heiligmesse“ ist stets eine der meistbewunderten Messen Haydns gewesen. Ihre Würde, ihre Kraft (besonders sei auf das außergewöhnliche „Gratias“ mit seinem brillanten Kontrapunktstil hingewiesen), der Glanz des Orchesters, dem die B-Trompeten ein silbriges, aber unkriegerisches Gewicht geben – dies alles hat sie zu einem der ernstesten und gefühlsbetontesten Kirchenwerke Haydns gemacht.
Text: H.C. Robbins Landon im Vorwort zum Klavierauszug
Als Solisten wirken mit: Monika Riedler, Katrin Auzinger, Gernot Heinrich und Yasushi Hirano.
Zum Offertorium singt der Chor den Choral „Jesus bleibet meine Freude“ aus der Kirchenkantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ J.S.Bach, BWV 147. Die Kantate ist in ihrer heute bekannten Form für den 2. Juli 1723, das Fest Mariä Heimsuchung, komponiert worden. Der Schlusschoral des zweiten Teils „Jesus bleibet meine Freude“ wird durch eine triolische Streichermelodie umrahmt und gehört zu den international beliebtesten Kompositionen Bachs, nicht zuletzt durch zahlreiche Bearbeitungen und Aufführungen im 20. Jahrhundert.
Jesus bleibet meine Freude, Meines Herzens Trost und Saft,
Jesus wehret allem Leide, Er ist meines Lebens Kraft,
Meiner Augen Lust und Sonne, Meiner Seele Schatz und Wonne;
Darum lass ich Jesum nicht Aus dem Herzen und Gesicht.
Sonntag, 26. November 2023:
Franz SCHUBERT – Messe Nr.6 in Es-Dur, D 950 (1828)
Die Arbeit Franz Schuberts (1796-1828) an seiner sechsten und letzten Messe fällt in sein Todesjahr 1828. Er schrieb sie im Sommer dieses Jahres für die Dreifaltigkeitskirche in Wien Alsergrund. Er konnte ihre Uraufführung aber nicht mehr erleben, denn sie wurde erst am 8. Oktober 1829 bei der Jahresfeier der Gründung eines Vereins zur Pflege der Kirchenmusik gesungen. Das Orchester und der Männerchor standen unter der Leitung seines älteren Bruders Ferdinand. Das Orchester verzichtet hier auf die Flöte, aber auch auf die Mitwirkung der Orgel. Der Chor steht im Vordergrund.
Das „Kyrie“ ist dreiteilig angelegt. Schubert verzichtet auf den Wechsel von Chor und Solo, der Chor bringt einen ruhigen homophonen Satz.
Ganz eigenwillig und gegen jede Tradition gestaltet Schubert das „Gloria„: es ist vier-, nicht fünfteilig und schließt mit der großen Fuge „Cum Sancto Spiritu“. Auf eine a-capella-Intonation „Gloria in excelsis Deo“ folgt ein Orchesterfanfarenmotiv; wie auch in anderen Messkompositionen geht Schubert im zweiten Teil sehr frei mit dem liturgischen Text um: „Domine Deus, Rex coelestis, gratias agimus tibi …“. Der Mittelteil „Domine Deus, Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis“ ist in Moll gehalten (g). Fagott und Posaune intonieren eine cantus-firmus-ähnliche Melodie. Dazu fügt der Chor kurze Rufe. Das „Quoniam tu solus sanctus“ vertont Schubert nicht als eigenen Abschnitt; er setzt es zur Musik des Anfangs. Mit Orchesterfanfare und Kadenzfigur rundet er den Satz ab. Die große Fuge „Cum Sancto Spiritu“ schließt unmittelbar an. Sie ist von starker kontrapunktischer Dichte, vor allem in den Engführungen: Die Themeneinsätze erfolgen erst im Abstand von zehn Takten, dann von drei, von zwei und schließlich – nach einer Generalpause – von nur einem Takt.Ähnlich dem „Credo“ der As-Dur-Messe beginnt auch dieser Satz mit einer mehrfach wiederholten Kadenzformel, eingeleitet durch einen im Pianissimo 2-taktigen Paukenwirbel. In eine ganz neue Sphäre führt Schubert mit dem „Et incarnatus est“. Solisten gestalten diesen dreistimmigen Kanon, Tempo- und Taktwechsel und hellere Melodik prägen diesen Abschnitt, dem der zunächst sehr verhaltene, aber doch dramatische sechsstimmige Chorsatz des „Crucifixus“ folgt. Der 3. Teil mündet in eine vierstimmige, große Fuge: „Et vitam venturi saeculi, amen“.
Harmonisch interessant gestaltet ist der Beginn des „Sanctus„, das von Es-Dur über h-Moll nach g-Moll moduliert. Das „Osanna“ ist mit vielen chromatischen Wendungen wieder als Fuge komponiert. Sehr ruhig, von Solisten eingeleitet, gestaltet sich das „Benedictus“.
Das „Agnus Dei“ in c-Moll kann als einer der Höhepunkte der Messe betrachtet werden: Es ist vom Charakter her dreigeteilt: Ein klagendes viertaktiges „Kreuzmotiv“ (c-h-es-d) gestaltet die drei Agnus-Rufe, ruhiger und versöhnlicher schließt sich das „Dona nobis pacem“ an, mündet aber schlussendlich wieder in das erste Agnus-Motiv und beschließt den Satz in der Grundtonart Es-Dur.
Als Solisten musizieren mit uns: Cornelia Horak (Sopran), Martina Steffl (Alt), Hiroshi Amako (Ten.I), Samuel Robertson (Ten.2) und Yasushi Hirano (Baß).